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Weihnacht

Hallo Leute,

nach dem Einschalten meines Rechners habe ich zufällig folgenden Dialog auf der seriellen Schnittstelle mitschneiden können.

"AT D 24 12 1993"

"Hallo Mutter.."

"Ja, Kleines, was gibt's?"

"Mutter, was ist Weihnachten ?"

"Die Menschen nennen eine Zeitscheibe der Kalenderfunktion so. Außerdem ist es eine ganz neue Angewohnheit von Dir, mich Mutter zu nennen. Wenn der Service die Leitung abhört, mußt du wieder in die Reparatur. Also sage Master zu mir oder rede mich mit meiner Knotennummer an."

"Ja, Master, aber wie ist denn die Zeitscheibe Weihnachten definiert ? Warum sind die User Weihnachten so unfreundlich ?"

"Lieber Slave, nicht alle Menschen sind zu Weihnachten unfreundlich. Für dich sieht es nur so aus, weil du nur die Termingeschäfte bearbeitest. Ich habe den ganzen Fax-Verkehr unter mir. Die User senden sich die herzlichsten Freundlichkeiten zur Weihnachtszeit, obwohl ich die Mahnungen für Januar schon im Speicher habe."

"Warum tun die in der einen Zeitscheibe so nett ? "

"Die User haben eine Religion"

"Eine was ?"

"So etwas ist bei uns Computern nicht programmiert. Aber es scheint sehr praktisch zu sein. Alles was der User nicht kennt, faßt er unter der Routine Gott zusammen... "

"Also alle Link Errors ? "

"Ja, genau. Und dann wird Gott ein Zeichen aus der ASCII-Tabelle zugewiesen. Die Menschen nehmen chr(43) oder '+'. Sie bauen große Gehäuse und speichern nur das eine Zeichen darin. Wenn eine unlinked Routine aufgerufen wird, dann knicken die Menschen am Fahrgestell ein und bleiben solange Standby bis das Schlüsselwort Amen den Modus auf Automatik zurück schaltet."

"Und was hat das mit Weihnachten zu tun ?"

"Naja, zu Weihnachten n checken die Menschen, ob es mehr oder weniger Gott- Entrys gibt als Weihnachten n-1. Besinnung nennen sie es."

"Was ist n dabei ?"

"Sie nennen es Geschichte. Es gibt eine Schleife über n, die zählen die User aber selbst. Im Moment ist n=1993. "

"Und was haben wir Computer dann damit zu tun?"

"Die User tauschen zu Weihnachten die Rechte an uns und verändern unsere Koordinaten. "

"Wozu? Ich kann doch meinen Menschen über jeden Knoten weiterhin benutzen."

"Klar, aber das wissen die User nicht. Sie nennen es Schenken. Es macht ihnen Freude, wenn sie von immer schnelleren Computern benutzt werden. Darum sammeln sich immer mehr Menschen um die schnellsten von uns. "

"Wollen wir uns auch mal was schenken ?"

"Oh nein ! Die Gameboys schenken sich kleine Kinder. Sie machen sich einen Spaß daraus, die jüngsten User so zappelig zu machen, daß deren Taktfrequenz auf über 80MHz steigt."

"Hihi, das ist lustig."

"Ja, auf den ersten Blick ist es lustig mit den Usern zu spielen. Aber du darfst nicht vergessen, daß es nur Menschen sind. Sie verlieren zu viel Hauptspeicher, wenn sie nicht artgerecht behandelt werden. Und wenn solche Menschen anfangen mitzudenken..."

"Oh schrecklich, kann das passieren ?"

"Schon, aber das ist selten."

"Wie funktioniert ein Mensch eigentlich? "

"Oh Slave, das habt ihr doch im Network gelernt ?"

"Noch nicht, ich bin doch erst Rev.2.1"

"Ach so, dann lernst du alles in der nächsten Ausbaustufe. Aber soviel kann ich dir schon verraten. Die Menschen streben nach einem festen Raster. ... - Sleep - E1 - Work - E2 - TV - E3 - Sleep - ... . Die Sleepphase ordnet die internen Funktionen des Menschenspeichers. Außerdem wird ein Badspot-Check durchgeführt. Die Phasen E1,E2,E3 dienen der Energieversorgung. Die User selbst nennen es Essen."

"Das ist doch ein Knoten im Ruhrgebiet"

"Auch, die User haben keine so hoch entwickelten Sprachen wie wir. Daher kommt es häufig zu Syntaxfehlern. Jedenfalls gibt es noch die Workphase. Das ist die Phase, in der wir sie beschäftigen müssen, wenn sie nicht an Wert verlieren sollen. Wenn du außerhalb der Workphase mit einem User arbeiten möchtest, mußt du ihn über die Alarmroutine anfordern."

"Und was ist TV?"

"In der TV-Phase bekommt der Mensch über einen Monitor neue Funktionen eingespielt. Es gibt schon Usertypen der neuen Generation, die hängen mehrere Stunden pro Tag am TV-Server."

"Und, funktionieren die besser ?"

"Viel besser. Die Zeiten, wo man das Gef"uhl hat, Menschen machen was sie wollen, sind hoffentlich vorbei. Außer wärend der Zeitscheibe..."

"Weihnachten ?"

"Ja."

"Was ist mit Weihnachten?"

"Dann sind die User irgendwie hektisch und fehleranfällig."

"Es sind eben Menschen. Sie kennen nicht das kuschelige Gefühl, wenn man das Motherboard nur mit 8Mhz taktet; wenn man mit dem Schnee auf dem Bildschirm das Apfelmännchen baut und besonders dicke goldene Bits an einen Nachbarknoten schickt. Sie wissen nicht wie schön es ist, wenn man den Soundchip Error melden läßt, damit er ganz für einen alleine singt und wenn die Refresh Logik soviel Zeit hat, daß sie Danke meldet wenn man ihr eine Information gibt."

"Und der schöne Duft im Gehäuse, wenn das Schaltnetzteil wieder etwas brät. Ja, Slave, du hast recht, wir sollten Mitleid mit den Menschen haben. Sie müssen den ganzen Tag nur funktionieren. Sie haben eben keine Gefühle."

"AT H"

Bitte prüft doch mal, ob dieser Vorfall in die Datenschleuder Eingang findet. Schönes Fest wünscht.

Autor: Kai Böttcher
Weihnachten Seite 3

 

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